Meine erste Bahnfahrt nach über 20 Jahren.

Seit jeher bin ich ein eingefleischter Bahn-Muffel und eine Bahnfahrt meide ich wie der Teufel das Weihwasser (öffentlicher Personennahverkehr wie U-Bahn, S-Bahn oder Tram mal ausgenommen).
Daher liegt meine letzte Bahnfahrt auch mehr als 20 Jahre zurück. Vorgestern hatte ich allerdings notgedrungen keine andere Wahl als doch  kurzfristig mit der Bahn von München nach Traunreut, meinen Heimatort in der Nähe des Chiemsees, zu fahren.

Die Strecke München – Traunstein bin ich mit dem InterRegio als Student Anfang der 90er relativ häufig gefahren und es war jedes Mal einfach grauenhaft. Die Züge waren in einem erbärmlichen Zustand und hatten den Federungskomfort eines Leiterwagens. Das klapprige Interieur war heruntergekommen und leere Getränkeflaschen rollten durch die Gänge, die Luft war stickig und verraucht, die Sitze verschlissen und durchgesessen aber im elegenaten roten Kunstlederbezug, das Zugpersonal -wenn es sich mal blicken ließ- überschaubar kundenorientiert. Und damit man dieses Gesamtkunstwerk auch ausreichend lang genießen konnte, hielt der Zug in jedem verdammten Kuhdorf, sodaß eine einfache Fahrt für ca. 100 km über 2 Stunden dauerte.
Ich glaubte diese traumatischen Erlebnisse mittlerweile überwunden zu haben, dennoch überkam mich am Sonntagabend dieses vertraute Gefühl der Anwiderung beim Gedanken, was mir am nächsten Tag bevorstehen würde. Aber der Reihe nach.

Bahn-Ticket online buchen. Check!

Als erstes informierte ich mich auf bahn.de nach möglichen Verbindungen von München Hbf. nach Traunreut bzw. Traunstein.
Das funktionierte schon mal gewohnt einfach.
Ok, und jetzt das Ticket kaufen.
Aha, wenn man das Ticket u.U. stornieren möchte bzw. eine gewisse zeitliche Variabilität der Verbindung benötigt, so wie in meinem Fall, dann muß man sich auf der Bahn-Seite registrieren. Das Registrierungsprozedere funktioniert so gut oder schlecht (je nachdem wie man es sehen will), wie auf den meisten Seiten, die alle möglichen Personen- und Zahlungsinformationen abfragen.
So, jetzt kann ich buchen.
Wenn ich jetzt schon mal nach über 20 Jahren meine Bahnabstinenz beenden muß, dann möchte ich das richtig feiern-mit einem Online Ticket als QR-Code aufs Handy!
Ich hatte früher schon von Freunden und Kollegen einige Stories über etwas seltsam agierendes Zugpersonal zu diesen “Handy-Tickets” gehört , so dass ich mich unbedingt auch mal diesem Thrill hingeben wollte. Also, rauf in die Bahn-App mit dem Ticket! Was kann da schon schief gehen? Da ich zwar wagemutig, aber nicht lebensmüde bin, habe ich zur Sicherheit dennoch das Ticket im PDF-Format ausgedruckt und mitgenommen. Man kann ja nie wissen… Chicken…;-)

Alles einsteigen, …

Am Bahnhof angekommen, bin ich gleich zum Bahnsteig 9 mit meinem Rollköfferchen bewaffnet und siehe da, da stand ein dunkelblau lackierter Zug moderner Bauart vom Typ “Flirt” mit der Aufschrift “Meridian”. Wow! Nicht dass jemand denkt, ich wäre weltfremd oder hätte in den letzten 20 Jahren nicht mitbekommen, dass sich auch im Zugverkehr technisch einiges getan hätte. Aber die innere Erwartungshaltung war doch durch meine letzten lange zurückliegenden Erfahrungen stark geprägt.
Also, dann mal rein in die gute Stube!
Und gleich noch ein Aha-Erlebnis! Hier drin schaut ja richtig chic aus! Alles schön sauber und gepflegt, die Luft angenehm und wohltemperiert, die Sitze komfortabel und mit ausreichend Beinfreiheit für mich versehen. Reisen mit der Bahn könnte wohl doch recht angenehm sein? Warten wir doch mal die Königsdisziplin ab: die Pünktlichkeit.

…, der Zug fährt ab!

Auf die Minute genau um 17:55 setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Wenigstens war die Abfahrt pünktlich. Nächster Halt, München Ost. Immer noch pünktlich. Als der Zug dann die Stadtgrenze erreicht hatte und volle Fahrt aufgenommen hatte, hatte ich mich schon mal auf den ersten Bremsvorgang vor dem ersten Kuhkaff eingerichtet. Doch hey, was ist das…der fährt einfach weiter! München – Rosenheim non-stop! Zwischen Rosenheim und Traunstein hielt der Zug zwar dennoch an einigen Käffern, aber nach exakt nur 1h und 18 Minuten Fahrzeit war ich pünktlich um 19:13 in Traunstein. Ich war mehr als positiv überrascht!

Dennoch gibt es einen Wermutstropfen: Wir sind heute technisch in der Lage eine winzige Sonde wie “New Horizons” über 9 Jahre lang mit einer Genauigkeit von 72 Sekunden an Ort und Stelle zu schiessen, aber eine vernünftige und stabile Internetverbindung in einem Zug durch Oberbayern scheint noch Lichtjahre entfernt zu sein…

Der romantische Teil dieser Bahnfahrt.

Seit einigen Jahren wird Traunreut wieder von der Regionalbahn (formerly known as BuBaSchiBu – Bundesbahn-Schienenbus) angefahren. Daher hatte ich ich mich kurzfristig entschieden, für die Weiterfahrt nach Traunreut die Bimmelbahn zu nehmen, denn der Regionalbus wäre ohnehin erst 20 Minuten später gefahren. Diesen Streckenabschitt bin ich bisher noch nie mit der Bahn gefahren, kannte ihn aber sehr gut, da meine Lieblings-Joggingstrecke dort vorbeiführte. Die gemächliche Fahrt in der Abendsonne über sanfte Hügel an der Traun entlang ließ einige schöne Erinnerungen an meine Jugendzeit aufkommen. Wunderbare 10 Minuten in der Bimmelbahn, die ich nicht so erahnt hätte.

Fazit.

Gleich vorweg: die Rückfahrt nach München verlief nicht minder reibungslos. Dauer-Bahnfahrer und Berufspendler werden vermutlich meine Erfahrung -zu Recht-mit einem müden Lächeln quittieren, da zwei Bahnfahrten in 20 Jahren mit Sicherheit keine repräsentative Aussage über den Personenverkehr der Bahn zulassen. Ich hatte glücklicherweise auch ideale Randbedingungen, da ich an diesen Tagen weder mit Streiks noch mit schlechter Witterung konfroniert war. Aber darum geht es mir auch gar nicht.
Ich freue mich lediglich darüber, das erste Mal in meinem Leben eine Bahnfahrt erlebt zu haben, wie ich sie mir immer gewünscht hatte. Nicht mehr und nicht weniger.

Bild von Bahnfisch Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons

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